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/ 24.Juni 2025

Drei Fragen an Anahita Razmi

Mehrsprachige Wortcollage mit dem Ausdruck „Heiße Luft“ in verschiedenen Schriftsystemen, visuell verdichtet in Weiß auf schwarzem Hintergrund.

In ihren Arbeiten verhandelt die deutsch-iranische Künstlerin Anahita Razmi Fragen von Repräsentation, kultureller Codierung und medialer Verschiebung. Mit Strategien der Aneignung und kontextuellen Neuordnung untersucht sie, wie Bedeutung zwischen Bildern, Sprachen und politischen Räumen zirkuliert. CURRENT hat mit ihr über Mehrsprachigkeit, „Heiße Luft“ und das Potenzial von Unverständlichkeit gesprochen.

CURRENT: In deiner Arbeit POLYPHONIC HOT AIR untersuchst du, wie sich die Redewendung „Heiße Luft“ in verschiedenen Sprachen und Kulturen unterschiedlich manifestiert. Was hat dich an diesem Ausdruck interessiert und inwiefern steht „Heiße Luft“ exemplarisch für Bedeutungsverschiebungen im Zusammenspiel von Kontext, Kommunikation und Macht?

Anahita Razmi: Mich interessiert an der Redewendung „Heiße Luft“ vor allem ihre Ambivalenz. Sie steht einerseits für Leere, für das, was nichts bedeutet – bloßes Gerede, rhetorischer Überschuss, Täuschung vielleicht. Gleichzeitig ist sie eben auch wörtlich genommen ein Bild für Energie, Bewegung, Aufstieg. In verschiedenen Sprachen und kulturellen Kontexten funktioniert sie unterschiedlich: mal als alltägliche Metapher, mal als politisches Urteil, mal als poetisches Bild, mal nur direkt im wörtlichen Sinne. 

Die Bewertung dessen, was als “heiße Luft”, als bedeutungslos gilt, ist nie neutral. Sprache ist immer mit Macht verknüpft – was als „leere Worte“ abgetan wird, hängt stark davon ab, wer spricht, wo gesprochen wird und von wemdas Gesagte verstanden oder eben nicht verstanden und bewertet wird.

Im Sinne von Édouard Glissants Recht auf „Opazität“ interessiert mich auch das Recht auf Unverständlichkeit. Wann wird Unverständlichkeit als bedeutungslos abgetan – und wann vielleicht sogar als bedrohlich wahrgenommen? In einem mehrsprachigen, diasporischen Kontext wie Stuttgart stellt sich die Frage nach „heißer Luft“ immer auch als Frage nach Sichtbarkeit, Übersetzbarkeit, und Anerkennung.

CURRENT: Die Arbeit findet sowohl als Plakat im öffentlichen Raum als auch in Form von Performances statt. Wie verändern sich Bedeutungen der Aussagen durch den Wechsel von Bild zur Aktion?

Anahita Razmi: Die Plakate operieren stark visuell und semiotisch – sie spielen mit Wiederholung, Fragmentierung und Unlesbarkeit. „HEISSE LUFT“ wird in mehreren Sprachen sichtbar. Das erzeugt vielleicht eine Überforderung, aber auch eine Form von Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit.

In den Performances verschiebt sich das Verhältnis von Lesbarkeit zu Hörbarkeit, von Text zu Stimme. Die Sprache wird verkörpert – durch verschiedene Personen, durch Lautstärke, Atem, Rhythmus. Es geht nicht nur darum, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird, wer spricht, für wen. Die Performance bringt damit Aspekte ins Spiel, die im Plakat nur angedeutet sind: Präsenz, Fragilität, Verunsicherung. Und sie schafft Raum für das, was in der Sprachverwirrung vielleicht an Verbindung oder Reibung entsteht.

CURRENT: Du arbeitest häufig an der Schnittstelle von Installation, Performance und Sprache. Wie fügt sich POLYPHONIC HOT AIR in deine bisherige Praxis ein?

Anahita Razmi: In vielen meiner Arbeiten geht es um das Spannungsverhältnis von Sprache, Identität und politischer Sichtbarkeit – oft im transkulturellen Kontext zwischen vermeintlichen „Ost“- und „West“-Narrativen. POLYPHONIC HOT AIR führt diese Auseinandersetzungen fort, aber verschiebt den Fokus stärker auf Kollektivität und Mehrsprachigkeit. Viele Stimmen, viele Sprachen, unterschiedliche Perspektiven, die nebeneinander existieren, ohne sich zwangsläufig für alle verständlich machen zu müssen.

Die Arbeit ist so wohl eine Art Weiterführung meiner langjährigen Praxis, weil sie Performance, Sprache und Installation zusammendenkt – aber sie ist auch ein Versuch, die Idee von „Bedeutung“ weiter zu dezentrieren: weg von der Einzelperson, hin zu einem komplexeren, vielleicht auch widersprüchlicheren Raum.

Foto-Credits:
Anahita Razmi: Heiße Luft, 2025 © Anahita Razmi